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FRITZ OERTER – LEBENSLINIEN EIN FÜRTHER UNIKAT

Während Namen wie Emma Goldman, Gustav Landauer, Ernst Toller, Rudolf Rocker und Erich Mühsam für die anarchistische Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt sind, ist Fritz Oerter noch immer unentdeckt. Der fränkische Anarcho-Syndikalist stand mit den genannten Zeitgenoss:innen im Austausch, ist für das Vertreten seiner Ansichten im Gefängnis gewesen, wurde von Nationalsozialisten gefoltert und ist infolgedessen 1935 in Fürth gestorben. Trotz der vielen Widrigkeiten ordnet er in diesen hinterlassenen Lebenserinnerungen die verschiedenen Abschnitte seines Lebens ruhig aneinander und schreibt liebevoll über seine Freund:innen (etwa die oben genannten), seine lithographische Ausbildung und die Beziehung zu seiner Partnerin Nanni – wie er es auch über herrschaftslosen Sozialismus tut. Das literarisch anspruchsvolle historische Dokument verschafft einen Einblick sowohl in seine Lebensrealität als auch in eine wenig bekannte deutsche Geschichte. Der Herausgeber Leonhard F. Seidl knüpft an das Ende von Oerters Aufzeichnungen an und beschreibt – unter Rückgriff auf zahlreiche Briefe und die Tagebücher Oerters – dessen weiteres Leben in den 1920erund 1930er-Jahren.

Ein Vorfall 1916 in Fürth An Pfiingsten 1916 ereignete sich ein Vorfall, der nicht ohne Komik war. Ich kam um 8 ½ Uhr abends ungefähr nach Hause. Es war zugeschlossen und ich hatte keinen Schlüssel. Bemerken muß ich hier, daß das Haus, in dem ich wohne, zwei Eingänge hat. Gewöhnlich benutzen wir den hinteren, weil der der inneren Stadt zugekehrt ist und nicht so tief liegt wie der vordere, der eigentliche Eingang. Ich rief etliche Male nach meiner Frau, daß sie mir aufsperre, aber sie hörte mich zunächst nicht. Da kam eine alte Nachbarin

um die Ecke geschlichen und raunte mir zu: »Nehmen Sie sich in Acht, Herr Oerter, an der vorderen Haustür da stehen Schutzleute und warten auf Sie, die wollen Sie verhaften.« »So«, sagte ich, »das ist ja ganz interessant, was Sie da sagen. Ich danke Ihnen. Wir wollen einmal sehen, was da los ist.« Als ich nun vor die vordere Haustür komme, steht da tatsächlich ein Polizist und wartet auf mich. Auch aus verschiedenen Hausfluren in der Nähe blitzen Polizeihelme. »Ja, was gibt es denn da?«, frag ich. »Zu Ihnen muß ich, Herr Oerter.« »Guter Mann, ich komm ja selber nicht zu mir, ich habe ja keinen Schlüssel und bin mit Ihnen ausgesperrt.« Und wieder brülle ich den Namen meiner Gemahlin. Endlich hört sie und sperrt auf. Wir klettern stumm in meine Dachwohnung hinauf. »Sie haben heute Nachmittag Besuch gehabt«, behauptet der Mann von der Polizei. Ich weiß es nicht, denn ich bin sei Mittag nicht heimgekommen. Aber meine Frau bestätigt, daß Besuch da war und aus der Schilderung, die meine Frau gibt, erkenne ich auch den Besucher, hüte mich aber, den Namen zu nennen, denn man kann ja nicht wissen … »Wenn es der ist, den ich meine«, sage ich zu dem Polizeier, »das ist ein sehr braver und harmloser Mensch, da haben Sie sich vergebens herbemüht.« Unverrichteter Dinge zog er hierauf ab. Er wolle morgen wiederkommen. Später klärte sich die Sache auf. Es war ein junger Kamerad aus Schwaben, der mich schon vor dem Kriege einmal besucht hatte und sich hierorts nach Arbeit umsehen wollte. Zu jeder Zeit suchte die Rhein-Westphälische Jagdpulverfabrik gerade Leute und ich hatte Nr. 56 – 2023

Altstadtverein Fürth

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