Opfer des Nationalsozialismus
Zwölf Jahre "Tausendjähriges Reich" hinterließen in Fürth irreversible Schäden, die bis heute weit über die unbeschreibliche Auslöschung zahlloser Leben, die Vernichtung zahlloser Existenzen und Zerstörungen historischer Bausubstanz und anderer Kulturschätze hinausgehen.
Opfer des NS-Terrors[Bearbeiten]
Vor allem die Verfolgung von Personen jüdischen Glaubens und linker Überzeugungen hat die Kulturszene, aber auch die intellektuelle Oberschicht der Stadt in ihrer Gesamtheit tiefgreifend zerstört. Viele fielen der Gewalt der Nationalsozialisten unmittelbar zum Opfer: Der Kunstmaler Julius Graumann starb ebenso im KZ wie Volkswirt Rudolf Benario und Antifaschist Ernst Goldmann. Vor dem "Dritten Reich" landesweit bekannte Persönlichkeiten wie Jakob Wassermann, der in den 1920er Jahren in einem Atemzug mit Thomas Mann genannt wurde, blieben auch nach 1945 bis heute weitestgehend unbekannt und fristen ein Schattendasein als "Insidertipp". Vom einstigen Starverteidiger Max Bernstein sind heute nicht einmal mehr Fotografien überliefert, weil sein Nachlass den Nationalsozialisten zu brisant war, obwohl er lange vor 1933 starb.
Wissenschaftler wie der Metallurg und spätere Cambridge-Professor Robert W. Cahn, der Politikprofessor Joseph Dunner, der erste Direktor des neuen Fürther Klinikums Jakob Frank oder Albert Uffenheimer, ebenfalls Arzt, und die Schriftstellerin Ruth Weiss setzten ihre Karriere nach der Emigration im Ausland fort. Alleine aus der Familie des späteren US-Außenministers Henry Kissinger wurden 13 Mitglieder von den Nationalsozialisten ermordet.
Am 28. Oktober 1938 wurden im Rahmen der sogenannten Polenaktion 54 polnische Juden und eine unbekannte Zahl von nichtjüdischen Polen aus Fürth ausgewiesen bzw. deportiert:[1] Die Polenaktion gab indirekt den Anlass für das Pariser Attentat von Herschel Grynszpan auf Ernst Eduard vom Rath, das wiederum als Vorwand für die Novemberpogrome 1938 diente, bei denen es auch in Fürth zu zahlreichen Übergriffen auf jüdische Mitbürger kam und der Schulhof mit den dortigen Synagogen zerstört wurde.[2]
In Fürth gab es vier größere Deportationen in Konzentrationslager:
- 27. November 1941: 94 Personen
- 22. März 1942: 231 Personen
- 10. September 1942: 176 vor allem ältere Menschen
- 16. bis 18. Juni 1943: 43 Personen
Weitere Opfer bzw. verfolgte Fürther und Fürtherinnen der Nationalsozialisten, die nur exemplarisch für die Vielzahl von misshandelten, deportierten und getöteten Menschen stehen:
- Grete Ballin - Sekretärin der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth bis 1943, verschollen in Auschwitz 1944
- Hermine Baßfreund - jüd. Lehrerin am Mädchenlyzeum, 1941 verschleppt nach Riga, gilt seitdem als verschollen
- Rudolf Benario - Mitglied der KPD, ermordert im KZ Dachau
- Josef Blöth - Mitglied der KPD, mehrfach verhaftet
- Hans Blöth - Mitglied der KPD, mehrfach verhaftet, starb bei einem Bombenangriff auf Fürth
- Michael Blöth - Mitglied der KPD, 1934 ermordet durch die Gestapo
- Heinrich Burghart - Berufsmässiger Stadtrat und SPD-Mitglied, Inhaftierung im KZ und Zwangsberentung
- Konrad Dohrer - Mensch mit Beeinträchigungen ("Behinderter"), ermordet im April oder Mai 1941 im Rahmen des NS-"Euthanasie"-Programms
- Johann Frenzel - Mitglied der KVJD (Komm. Jugendverband), ermordet Januar 1942 im Rahmen des NS-"Euthanasie"-Programms
- Michael Früh - Kaufmann, Soldat, deportiert 1942
- Hilde Gerber - Mitglied der KVJD (Komm. Jugendverband), mehrfach verhaftet
- Ernst Goldmann - Mitglied der KPD, ermordet im KZ Dachau
- Julius Graumann - Kunstmaler, ermordert im KZ Auschwitz
- Fritz Gräßler - Metallpolier und SPD-Mitglied, wegen illegaler Parteitätigkeiten 1934 ein Monat in Haft
- Konrad Grünbaum - Mitglied der SPD, wegen Aufbau einer Widerstandsgruppe zu 3 Jahren Haft verurteilt mit anschließender Schutzhaft in Dachau
- Berthold Gutmann - Jüd. Geschäftsmann, 1940 ermordet im Rahmen der sog. T4-Aktion in die Kreis-, Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar
- Isaak Hallemann - Leiter des Jüd. Waisenhauses, deportiert, 1942 verschollen
- Anton Hausladen - Mitglied der KPD und mehrfach verhaftet, verstarb 1949 an den Folgen der Inhaftierung
- Georg Hausladen - Mitglied der KPD, mehrfach verhaftet
- Kunigunde Hausladen - Mitglied der KPD, mehrfach verhaftet
- Berthold Heilbrunn - Approbationsentzug als jüdischer Arzt
- Walter Herz - Jüd. Widerstandskämpfer, ermordet in Hartheim
- Julius Hirsch - Jüdischer National-Fußballspieler der SpVgg, ermordert im KZ Auschwitz-Birkenau 1943
- Christian Hofmann - Mitglied der KPD, ermordet in Dachau
- Fritz Hopf - Mitglied der KPD, kam 1945 aus dem Exil wieder zurück, nachdem er mehrfach inhaftiert wurde
- Kurt Königsberger - Teilnehmer an der Räterepublik in München und provisorischer Kriegsminster der bay. Streitkräfte, Ermordung im KZ vermutlich am 21. Juli 1941 in Pirna-Sonnenstein
- Dr. Hermann Kronheimer - Jüd. Arzt, ermordert im KZ Auschwitz mit Ehefrau Josefine und den Kindern Lina & Paul Peter
- Frida Langer, geb. Berneis - Jüdische Aktivistin, begann 1942 Selbstmord kurz vor der Deportation ins KZ Izbica/Lublin
- Arnodt Leonhardt - Betriebsrat und KPD-Mitglied, Verhaftung und Verschleppung in das KZ Dachau
- Gustav Löwensohn - Jüd. Verleger, Deportation 1943 ins KZ Auschwitz, 1945 für tot erklärt
- Robert Löwensohn - Jüd. Verleger, Deportation 1942 ins KZ Auschwitz, 1945 an Erschöpfung auf einem der Todesmärsche gestorben
- Leo Mandel - Jüd. Geschäftsführer, 1943 mit Ehefrau Bertha und Sohn Jakob Mandel im KZ Lemberg erschossen - Bruder von Jean Mandel
- Ernst Mettbach - Mitglied der Sinto-Gemeinde und Opfer der Menschenversuche im KZ-Dachau
- Walburga Müller - Mitglied der SPD und wegen Hochverrat verurteilt
- Fritz Örter - Mitglied der SPD, Tod durch eine Lungenentzündung nach einem Verhör mit der SA
- Michael Platzer - Mitglied der KPD, 1944 ermordet in Dachau
- Hedwig Regnart - Mitglied der KPD, Inhaftierung wegen "kommunistischer Tätigkeit"
- Mary Rosenberg - Jüd. Buchhändlerin , Auswanderung 1939 nach New York
- Dr. Albert Rosenfelder - Mitglied der KPD, ermordet in Dachau
- Leo Rosenthal - Jüd. Geschäftsmann, Internierung, Zwangsarbeit und Zwangsenteignung
- Hans Rupprecht - Mitglied der SPD, Schutzhaft im KZ Dachau 1933-1934, 1939
- Karl Sahlmann - Hopfenhändler, Selbstmord nach der Pogromnacht
- Robert Schopflocher - Schriftsteller, Flucht vor der NS-Regierung 1937 nach Argentinien
- Hans Segitz - SPD-Stadtrat, mehrfach verhaftet und inhaftiert im KZ Dachau
- Fritz Seuß - SPD und AWO-Mitglied - als minderjähriger bereits in politischer Haft im KZ Dachau
- Isaak Stamm - Jüd. Kaufmann und Bankier, 1942 Entziehung der Deportation durch Suizid
- Meta Stoll - Jüd. Gaststättenbetreiberin bis 1938, 1942 deportiert und ermordet in Izbica
- Benno Strauß - Jüd. Wissenschaftler, 1944 deportiert - verstarb auf dem Weg zum KZ Theresienstadt an einer Lungenentzündung
- Babette Zuckermantel - Mitglied der KPD, mehrfach verhaftet
Eine vollständige Liste aller jüdischen Opfer des Nationalsozialisums findet sich auf der Internetseite "Jüdische Fürther", erstellt von Gisela Naomi Blume: Homepage Jüdische Fürther/Memorbuch - Opfer der Shoah (Link).
Die Stadtgemeinschaft, z. B. durch ihre Stiftungen, tragende und prägende Familien wurden wie die Sahlmanns ausgelöscht oder emigrierten wie die Berolzheimers. Auf beiden Wegen verschwanden sie fast vollständig aus der Gegenwart und Zukunft der Stadt, viele schafften es nicht einmal in die Geschichtsbücher.
Nicht zuletzt deshalb bleibt auch wirtschaftlich viel Kontinuität zwischen Drittem Reich und BRD: Viele NS-Günstlinge werden ab 1945 inhaftiert, in den als "Persilscheinfabriken" verspotteten Gerichtsverfahren als "Mitläufer" eingestuft, konnten sie jedoch weitestgehend unbestraft weiterarbeiten - meistens unverändert mit vormals jüdischem Besitz: Mal weil die Eigentumsübergabe in juristischem Graubereich stattfand, mal weil ganze Familien in KZs ausgelöscht wurden, viele die das Unheil kommen sahen wie der Hopfenhändler und Großkaufmann Karl Sahlmann Suizid begingen oder aus dem Exil nicht zurückkehrten und folglich keine Ansprüche mehr geltend machen konnten oder wollten.
Literatur[Bearbeiten]
- Lothar Berthold, Peter Krauss, Andy Reum, Josh Reuter (Redaktion): „Kristallnacht“ in Fürth In: Sondernummer der Fürther Freiheit, Fürth: (ehemals Wissenschaftlich-Publizistischer Verlag) heute: „Städtebilderverlag Fürth“, Postfach 1212, 90702 Fürth V.i.S.d.P.: Andy Reum, Erlanger Str. 71, 8510 Fürth - online
- Rainer Hambrecht: Der Aufstieg der NSDAP in Mittel- und Oberfranken, Nürnberg, 1976
- Bernd Höffken: Schicksale jüdischer Ärzte aus Nürnberg nach 1933. Metropol Verlag Berlin, 2013
- Manfred Mümmler: Fürth in nationalsozialistischer Zeit. Das Alltagsleben 1933 - 1945. Universität Bayreuth, Dissertation, 1994, IV, 355 S.
- Manfred Mümmler: Fürth 1933 - 1945. Emskirchen: Verlag Maria Mümmler, 1995, 224 S., ISBN 3-926477-13-X
- Heinrich Strauß: Fürth in der Weltwirtschaftskrise und nationalsozialistischen Machtergreifung - Studien zur politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung einer deutschen Industriestadt 1928 - 1933, Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte - Schriftenreihe des Stadtarchivs Nürnberg Band 29, Nürnberg
- Renate Trautwein: Marie Venediger, in: FrauenLeben in Fürth, Spurensammlung und Wegweiser, Nürnberg 2003, Seite 64 - 66
- Ausstellung des Infoladen Benario im Kulturforum Schlachthof am 12. April 2013, Daten und Texte Siegfried Imholz
- Antifaschistische Linke und Siegfried Imholz: Widerstand gegen den Nationalismus in Fürth, Eigenverlag Fürth, 2014
- Siegfried Imholz: Gebt ihnen einen Namen (Buch), Städtebilder Verlag Fürth, 2017
Siehe auch[Bearbeiten]
- Holocaust-Denkmal
- Mahnmal zum Gedenken an die Fürther Sinti
- Jüdische Fürther
- Fürther Opfer der Shoah
- Opfer der Aktion T4
- Komitee zum Gedenken der Fürther Shoah-Opfer
- Orte der Verfolgung und des Gedenkens
- Straßenbenennungen im Nationalsozialismus
- Gewerbebetriebe mit jüdischen Eigentümern 1938
- Zweiter Weltkrieg
- Camp Finkenschlag
- NSDAP
- SPD
- KPD
- Infoladen Benario
Weblinks[Bearbeiten]
- Presseausschnitte (Fürther Nachrichten, NN, Plärrer) und Archivalienkopien (Staatsarchiv München) zu Veranstaltungsverboten der NSDAP 1925/26, der Schoa in Fürth, dem von Alfred Nathan gestifteten König-Ludwig-Brunnen, den hebräischen Druckereien und Akten der Israelitischen Kultusgemeinde. In: Nr. 2 Jüdisches Leben und Antisemitismus in Fürth. Bestandsgruppe F - Findliste F 14 Dokumentationsgut zum jüdischen Leben in Nürnberg und Franken. Erstellt und geschrieben: Gerhard Jochem, Nürnberg, August 1999 - StAN
- Ekkehard Hübschmann: Arbeitsgemeinschaft fränkisch-jüdische Geschichte - online
- Flucht und Vertreibung von Juden aus Fürth (Wikipedia)
- Stichwortsuche "Fürth" beim United States Holocaust Memorial Museum
Einzelnachweise[Bearbeiten]
- ↑ Komitee zum Gedenken der Fürther Shoah-Opfer (Bearbeitung Gisela Naomi Blume): Memorbuch zum Gedenken an die von den Nazis Ermordeten Fürther Juden. Fürth 1997. S. 14.
- ↑ Fürth 1933 - 1945 (Buch), S. 148 ff.
Videos[Bearbeiten]
Dieser Artikel war Thema beim Fürther Höfefest vom 21. - 22. Juli 2018. Unter dem Titel "200 Jahre an einem Wochenende" bot die Veranstaltung Einblick in mehr als 50 Fürther Höfe, davon 20 als Themenhöfe mit einem geschichtlichen Thema. |