Louis Kissinger
Louis Kissinger (geb. 2. Februar 1887 in Ermersdorf, gest. in Schweden) war von Beruf Lehrer[1]. Louis Kissinger wird als zweitältester Sohn von David und Lina Kissinger geboren. Seine Jugend verbringt Louis sorglos im unterfränkischen Ermershausen, einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Haßfurt. Louis Kissinger ist der erste Kissinger, der gewissermaßen eine Familintradition bricht, in dem er nicht mehr ausschließlich den Beruf des sog. "Judenlehrers" erlernt, sondern Lehrer im öffentlichen Dienst werden will und damit auch nicht jüdische Kinder unterrichten möchte.
Ausbildung und Lehre
Im Jahr 1900 kommt Louis Kissinger mit nur 13 Jahren auf die königliche Präparandenschule in Arnstein. Die Präparandenschule ist um die Jahrhundertwende eine Art untere Stufe der Volksschulleherausbildung[2]. Bereits 1901 zählt er zu den "Bestens seines Kurses"[3]. Sein Jahreszeugnis zählt noch weitere postive Eigenschaften auf, u.a. heißt es im Zeugnis: "Durch seine vielen Geistesanlagen, ... seinen lobenswürdigen Hausfleiß, verbunden mit Eifer und Aufmerksamkeit beim Unterricht, hat er in allen Gegenständen die Zufriedenheit seiner Lehrer erworben. Sein religiössittliches, sein disziplinäres Verhalten war durchaus tadelfrei"[4].
Kissingers Berufsleben in Fürth
Mit 18 Jahren bewirbt sich Louis Kissinger zum ersten Mal für eine Lehrstelle und kommt somit auch zum ersten Mal mit Fürth in Berührung. Er bewirbt sich bei der Vereinigten Heberleinschen und Arnsteinischen Institut, das 1848 von Simon Geiershöfer als Privatinstitut für Mädchen gegründet wurde und 1883 mit der privaten Heberleinschen Töchterschule zusammengeführt wurde. Es ist die erste private höhere Mädchenschule in Fürth, die ursprünglich für Töchter aus jüdischen Häusern gegründet wurde. Um die Jahrhundertwende wurden auch Schülerinnen des christlichen Glaubens zugelassen, so dass die Hälfte jüdischen und die andere Hälfte christlichen Glaubens waren, meist der evangelischen. Nach knapp 60 Jahren schließt 1907 die Schule ihre Pforten, nachdem das städtische Mädchenlyzeum an der Tannenstraße den Unterricht aufgenommen hatte.
Im November 1905 hält Louis Kissinger jedoch erst einmal seinen Einstand im Heberlein- und Arnsteiner Höheren Mädchenschule. Er darf dort bis zu fünf Wochenstunden den isrealitischen Religionsunterricht in den unteren Klassen abhalten. Im März 1906 wird Kissinger durch das Rabbinat im Unterricht geprüft. In dem schriftlich verfassten Bericht über den Unterricht wird es später heißen: "Ich freue mich nun, sagen zu können, dass mich ... gründlich vorgenommene außerordentliche Visitation vollständig befriedigt hat. Im Interesse der Schule empfehle ich dringend, für dieses Jahr in dieser kombinierten Abteilung einen weiteren Lehrerwechsel zu verhüten, umsomehr als .. Herr Kissinger den richtigen Ton im Umgang mit seinen Schülerinnen zu treffen scheint."[5] Gleiches weiß sein Schulleiter über Louis Kissingers Leistungen zu berichten. Am 18. September 1906 schrieb der Schulleiter in das Zeugnis von Louis Kissinger: "Herr Louis Kissinger ... wirkt seit dem Schulbeginn 1905 an der ... Schule des Unterzeichneten als Lehrer der III. und IV. Klasse. Der Unterzeichnete bezeugt genau, dass der verhältnismäßig sehr junge Lehrer sich gleich zu anfangs seiner beruflichen Tätigkeit als ungemein fleißiger, fähiger und rühriger Pädagoge erwies, sich bisher als äußerst gewissenhaft, pünktlich und pflichtgenau nach jeder Richtung hin bewährte und infolge seiner Berufsfreudigkeit und Liebe zu den Kindern ganz vorzügliche Unterrichtsresultate erzielte."[6]
Privat schien Kissinger zunächst in einem Zimmer in der Theaterstraße zur Untermiete gewohnt zu haben. Es folgt eine Wohnung beim Bäckermeister Berle Oppenheimer in der Hirschenstraße, bis er Anfang Dezember 1908 in der Schwabacherstraße 42 eine Wohnung bezog. Zur gleichen Zeit unterrichtete Louis Kissinger ebenfalls in der 1897 gegründeten privaten Heckmannschule, die er vermutlich als Dienststelle nutzte, nachdem das Heberlein- und Arnsteinschische Institut 1907 schließen musste. Er unterrichtet nun - nach seiner Anstellungsprüfung am 20. September 1909 - die Knaben der Heckmannschule. Sein Jahresgehalt beträgt 1.000 Reichsmark. Seine Anstellung in der Heckmannschule dauerte knapp 10 Jahre. Dabei unterrichtete er in der reinen Knabenschule Deutsch, Rechnen und Realien (~ Naturwissenschaften, wie Erdkunde, Geschichte, Biologie oder Physik/ Chemie). Vom Kriegsdienst 1914-1918 als Lehrer befreit, sucht Kissinger nach Möglichkeiten seiner beruflichen Weiterentwicklung. Er bewirbt sich mehrfach an anderen Schulen, so z.B. 1910 an der Isrealitischen Präparanden-Schule Talmud-Thora in Burgpreppach, allerdings lehnt er diese Stellen immer wieder ab. Kissinger lehnt auch 1918 eine Stelle im oberschlesischen Beuthen ab, die Ihn für 4.000 Reichmark für seine Tätigkeit "hauptsächlich in (der) Erteilung des Religionsunterrichts, Hebräisch und den damit verwandten Fächern in der Jüdischen Volksschule, Gymnasium, Realgymnasium und Lyzeum" geboten hatte[7].
Am 29. April 1917 bewirbt sich Louis Kissinger, inzwischen im Alter von 30 Jahren, beim Königlich Bayerischen Staatsministerium des Inneren für Kirchen- und Schulangelegenheiten für die Zulassung zur Reifeprüfung an Realgymnasien. Kurze Zeit später erfolgt die Zulassung zur Prüfung. Zur gleichen Zeit beantragt Kissinger in Fürth das Bürgerrecht, dass ihm am 20. November 1917 zugesprochen wird. Kissinger hatte bereits im Oktober 1917 das Studium der Kameralisitk (~Buchführung, öffentliche Verwaltung) und Philosophie an der Universität in Erlangen begonnen. Am 10. April 1919 erhält Kissinger erstmals ein Abgangszeugnis, so dass seiner Anstellung im öffentlichen Dienst nichts mehr im Weg steht. Im Jahresbericht der Städtischen Höheren Mädchenschule in Fürth wird Kissinger 1919/1920 erstmals als Hauptlehrer für Deutsch, Rechnen und Realien erwähnt. Am 3. März 1920 erhält Kissinger durch eine Regierungsschließung die Festanstellung an der höheren Mädchenschule, dem heutigen Helene-Lange-Gymnasium. Seine Schüler nennen Kissinger "Kissus" und manche Mädchen beschreiben Ihn als "stets korrekt gekleideten, mit Fliege, später vorzugsweise mit Krawatte zum meist dreiteiligen Anzug" gekleideten Lehrer, der gerne mit einem Buch unter dem Arm beschwingt - fast hüpfend - das Pult im Klassenzimmer betrat mit den Worten "Sezten, setzen!". Während die Mädchen eher für Ihn schwärmten, schienen die Knaben eher seine "Schwächen" bald erkannt zu haben, denn als besonders strenger Lehrer, der den Stock zur Disziplinierung einsetzt, wird er nicht beschrieben. Kissinger haate zwar einen Stock griffbreit, wie damals üblich, aber zum Einsatz kam er scheinbar so gut wie nie. Dies schien - wenn auch sehr spekulativ - einige Schüler immer wieder zu Streichen gegen Kissinger anzuregen.
Paula Stern
Während der Schulzeit trifft Kissinger seine spätere Frau Paula Stern. Paula Stern wird am 24. Februar als Einzelkind im fränkischen Leutershausen geboren. Ihre Eltern Falk und Peppi Stern hatten zuvor Mitte November 1898 in Ansbach geheiratet. Der Vater war Viehhändler und hatte als solches ein gutes Einkommen. Die Eltern schicken Paula Stern auf das Gymnsium in das 80 km entfernte Fürth, da es vor Ort keine höhere schulische Bildungsmöglichkeit gab. Die Schwester von Falk Stern, Berta Fleischmann, wohnte zu dieser Zeit in Fürth, so dass Pauls Stern hier unterkommen konnte. Während Falk Stern in den 1. Weltkrieg als freiwilligern eintritt und seine "Pflicht als Deutscher" versieht, verstirbt die Mutter Peppi Stern am 4. Juli 1915 mit gerade einmal 42 Jahren. Für die 14-jährige Tochter ist dies ein massiver Einschnitt in ihrem Leben, denn damit muss sie nun "ihre Frau" in der Familie stehen und den Küchenherd übernehmen, statt sich mit Mathematik oder Geographie zu beschäftigen. Falk Stern - der Vater - heiratete erneut 1918, die 1877 geborene Fanny Walter aus Sugenheim. Paula wird das Verhältnis zur Stiefmutter später als "gut" beschreiben. Anfang der 1920 geht Paula Stern als Au-pair-Mädchen nach Norddeutschland in die Stadt Haberstadt, und kümmert sich um vier Kinder eines jüdischen Fabrikbesitzers. Zurück aus Halberstadt nimmt Sie wieder ihre Schulausbildung auf und lernt dabei ihre "Liebe ihres Lebens" kennen, den 14 Jahre älteren Louis Kissinger. Am 28. Juli 1922 heiraten Paula und Louis Kissinger in Fürth.
Louis Kissinger ist inzwischen seit 1921 Hauptlehrer, der seit 1919 immerhin bei der Stadt Fürth festangestellt ist, wenn auch nur zu einem geringen Lohn. Die Inflation hat sein erspartes aufgefressen, so dass die wirtschaftlichen Verhältnisse am Anfang alles andere als rosig aussahen. Beide ziehen zunächst in eine kleine Balkonwohnung in der Mathildenstraße 23. Ab 1924 verbessert sich langsam die finanzielle Lage, zumal Louis Kissinger am 1. September 1924 zum Oberlehrer befördert wird - und somit eine bessere Gehaltssitutation sich einstellt. Mit der Beförderung folgt auch ein Umzug aus der Mathildenstraße im Januar 1925 in eine geräumigere Wohnung in der Marienstraße 5. Die Wohnung war auch aufgrund desse zu klein geworden, da sie am 27. Mai 1923 den Sohn Heinz Alfred Kissinger zu verzeichnen hatten. Heinz Kissinger kommt mit Hilfe einer Hebamme in der Mathildenstraße 23 auf die Welt, bereits ein Jahr später folgt der Bruder Walter Bernhard Kissinger am 21. Juni 1924. Beide Söhne wachsen in einer typisch bürgerlichen Welt auf, werden aber gleichzeitig streng religiös durch die Eltern erzogen. Beide haben Klavierunterricht, der Besuch des Theaters gehört zum Pflichtprogramm.
Verfolgung während der NS-Zeit
Nach dem 1. April 1933 werden durch den reichsweiten Boykott gegen jüdische Geschäfte die ersten Aktionen spürbar für die jüdische Bevölkerung. Für Walter und Heinz Kissinger ist zunächst die Schulzeit an einer öffentlichen Schule beendet, da Ende April 1933 die faktische Schließung öffentlicher Bildungseinrichtungen für jüdische Schuler und Studenten den Besuch einer öffentlichen Schule unmöglich machen. Gleiches gilt auch für die Eltern Louis und Paula Kissinger. Durch die "Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" wird Kissinger als Gymnasialleher über Nacht arbeitslos, die letzten Zeugnisse unterschreibt Kissinger am 6. April 1933 - am 2. Mai 1933 wird er zwangsbeurlaubt.[8] Am 9. Oktober 1933 wird der 47-jährige Kissinger durch das Bay. Staatsministerium des Innern zum Beginn des Schuljahres 1933/1934 in den "dauerhaften Ruhestand" versetzt. Die Tatsache, dass er seinen vollen Bezüge erhält, ändert nicht daran, dass Kissinger in eine schwere Krise stürzt. Erschwernd kommt für ihn hinzu, dass seine ehemaligen Kollegen zunehmend auf Distanz gehen - keine Einziger will nach 1933 zu ihm stehen. Auch im Privaten gehen die Freunde und Bekannte zunehmend auf Distanz, so dass sich die Kissinger recht schnell isoliert in Fürth fühlen. Es ist Paula Kissinger, die schließlich die Entscheidung trifft Deutschland zu verlassen. Am 24. April 1938 beantragt Louis Kissinger schließlich die Ausstellung von Pässen beim Polizeiamt Fürth, da sie die "Absicht haben", mit der Familie in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Bereits eine Woche später, am 29. April 1938 genehmigt die Gestapo die Ausreise. Am 10. August 1938 - nur einen Monat vor der Reichspogromnacht - meldet sich Louis Kissinger und seine Familie beim Polizeipräsidium Fürth offiziell ab. Kurz darauf sind sie auf dem Weg nach London, bis sie schließlich am 30. August per Schiff an Bord der Ile de France von Le Havre nach New York übersetzten.
Neuanfang in der USA
Siehe auch
- Kissinger
- Meyer Loeb Kissinger
- Abraham Kissinger
- David Kissinger
- Henry Kissinger
- Walter Kissinger
- Louis-Kissinger-Preis
Literatur
- Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007.
Einzelnachweis
- ↑ Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50 ff.
- ↑ Präparandenanstalt. Wikipedia, abgerufen am 6. Juni 2015 | 18:34 Uhr online abrufbar
- ↑ Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50
- ↑ Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 50
- ↑ Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 51
- ↑ Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 52
- ↑ Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 54
- ↑ Evi Kurz: Die Kissinger Saga. TLF TimeLineFilm, 2007. S. 89